Die Wahrheit ist Fleisch und Blut

Gestern besuchte ich den Gottesdienst der Deutschen Evangelischen Gemeinde im Haag. Die Predigt, über die Bedeutung des Abendmahls, die van Pfr. Eckhard Benz-Wenzlaff gehalten wurde, schien uns eine interessante Fortsetzung und Ergänzung der Predigt von Pastor Greg Neal die wir vor kurzem (auf Englisch und Polnisch) publiziert haben. In der alten Kirche war die Passionszeit eine Zeit der Vorbereitung auf die (erste) Teilnahme an den Mysterien der Eucharistie…

Joh. 6,51-65 (gekürzt)

“51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.

55 Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.

59 Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte.

60 Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? 61 Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? 62 Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? 63 Der Geist ist’s, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. 64 Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. 65 Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.

66 Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm”.

Liebe Gemeinde,

kaum verhüllt, ist es mit Händen zu greifen:

Da ist die Gemeinde Jesu drauf und dran, sich in ihre Einzelteile aufzulösen. Verrat liegt in der Luft. Sie laufen davon. Wollen nichts mehr hören. Wollen nicht mehr sehen, was passiert ist. Und wollen auch in Zukunft nichts mehr wissen. Sie haben es satt. Denn es ist eine harte Rede, die Jesus ihnen da zumutet: Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank.

Das hat nichts mit Kannibalentum zu tun – es ist Passionszeit. Das Leben ist teuer – und manchmal muss es auch teuer bezahlt werden. Dabei geht es noch nicht einmal um die Jünger – gerade sie müssen ja nicht bezahlen: Ich bin das Brot, sagt Jesus. Es ist mein Leben, mein Fleisch und Blut. Ich habe gegeben, was ich geben konnte: mich selbst.

Die Jünger sind ja alle davongekommen. Aber umso heikler wird es, wenn sie sich die ganze Geschichte anschauen sollen. Jetzt, im Nachhinein, wenn sie ganz genau wissen: der andere ist geblieben. Und wir – wir sind abgehauen. Haben uns gedrückt. Glück gehabt. Der Blick zurück auf das Kreuz Jesu wurde zum Blick auf ein Bild, auf das sie eigentlich selbst drauf gehören – und auf dem sie doch fehlen: Were you there, when they crucified my Lord? Wie ein Echo schallt diese Frage durch die Menschheitsgeschichte – bis zurück zum Anfang – dorthin, wo sie Gott den HERRN hören, wie er im Garten geht – so erzählt es die Paradiesgeschichte: als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.

Wohin soll man laufen, wo sich verstecken, wenn man genug hat von den Dingen, die passieren – auch heute noch? Wohin die Gedanken richten, wenn die Nachrichten aus den fernsten Winkeln der Welt ein Unheil nach dem anderen ins Haus liefern? Lassen wir das Drama in Japan für einen kurzen Moment beiseite, lassen wir die Gewalt in den islamischen Ländern für einen Moment beiseite – schauen wir in Richtung Afrika, Elfenbeinküste: an einem einzigen Tag wurden dort 800 Menschen getötet.

Das geht schon alles, recht und schlecht: sich drücken. Ziemlich sicher könnten wir unser Leben gar nicht auf die Reihe kriegen, wenn wir uns nicht immer wieder davonschleichen würden vor den Dingen, die wir nicht tragen können. Wir können ja nicht überall zugleich hingucken. Wir können gar nicht überall eingreifen – wo wir noch nicht einmal wissen, was dabei herauskommen wird. Vielleicht ist unser ganzes Leben ein einziger Versuch, immer wieder davon zu laufen. Weil wir spüren, dass wir keine Ausreden haben und dass wir nackt sind.

So sind es nicht wir, die Gott suchen, sondern Gott sucht den Menschen – so sagte es ein jüdischer Lehrer vor einigen Jahren. Vielleicht hat er dabei an den Psalm gedacht, den wir eben gesprochen haben:

Und nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Ärgert euch das? fragt Jesus seine Jünger. Passt euch das nicht, dass ihr dem Leben nicht wirklich davonlaufen könnt? Denkt ihr, ihr könntet es so zurechtbasteln, dass ihr irgendwie durchkommt – und dass jeder sich in seinen eigenen Illusionen einrichtet? Und glaubt ihr, dann sei alles leichter zu haben – und billiger? Bis weit unter meine Pfarrer-Kolleginnen und -kollegen hinein höre ich das immer wieder: de waarheid bestaat niet . Die Wahrheit gibt es nicht.

Dabei ist die Wahrheit so einfach wie ärgerlich: die Wahrheit des Lebens – sagt Jesus – besteht aus Fleisch und Blut. So viel wir auch nachdenken über die kompliziertesten Gedanken des Lebens: wenn es brenzlig wird, wenn uns auch nur jemand einen Tritt in den Hintern gibt, dann wissen wir ohne zu zögern: die Wahrheit kann man spüren. Man kann sie nicht wirklich bestreiten. Man kann nicht abstrakt darüber diskutieren, ob und wie viele Menschen aus Fleisch und Blut tagtäglich irgendwo verrecken. Und wenn wir es trotzdem tun, dann sind wir wie die Jünger Jesu, die davonlaufen. Die sich drücken. Die nicht wissen, was sie tun sollen. Die sich irgendwie einrichten, so gut es geht – ohne dass es allzu sehr wehtut.

Aber so viel sollten wir wenigstens wissen, wenn wir über die Wahrheit sprechen: sie besteht aus Fleisch – und Blut.

Ärgert euch das? – fragt Jesus.

Es muss ärgern. Und vor allem: es macht Angst.

Es kann dazu führen – wie in den Zeiten des Johannes-Evangeliums, dass die Menschen davonlaufen. Massenweise. Dorthin, wo uns das Glück billiger versprochen wird. Wo es nicht wehtut. Wo uns keiner harten Reden an den Kopf wirft – wie Jesus das tut.

Dabei will Jesus ja gar nicht so viel. Eigentlich ist es – eine Einladung: Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank.

Kommt und seht und schmeckt, wie freundlich der Herr ist.

Kommt – und feiert miteinander das Abendmahl. Und nehmt dabei die Erinnerung hinein, dass das Leben kostbar ist. Und zerbrechlich. Schaut Euch selbst dabei an – und Eure Kinder (die heute mitfeiern): Sie gehören in die Nähe Jesu, auch wenn es auf dem Weg Jesu brenzlig wird. Tut das zu meinem Gedächtnis. Brot und Wein/Saft sind uns Lebenszeichen – sie sind Gaben, die die Natur uns gibt. Und zugleich werden diese Gaben sozusagen „durchsichtig“. Sie erzählen von Jesus, einem Menschen aus Fleisch und Blut – und davon, dass dieser Mensch nicht davongelaufen ist. Diese Geschichte macht das Abendmahl so kostbar.  Kostbarer als andere Versprechungen:

Anstelle des Abendmahls sind heutzutage viele andere Versuche getreten, glücklich zu sein. Ewiges oder zumindest langes Leben zu erreichen. Wie verzweifelt und zugleich armselig suchen Menschen in unserer materiell so reichen Gesellschaft nach Leben – und wie wenige lassen sich auf die Verheißung Jesu Christ ein: „Wer mein Fleisch ist und wer mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“

Christen sind in diesen Wochen sozusagen mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem – und bedenken, was dieser Weg bedeutet: für uns selbst, für unsere Welt, die – ganz buchstäblich! – aus den Fugen gerät und wir kaum mehr hinter kommen, was an vielen Ecken passiert.

Ob wir Jesus folgen können auf seinem Weg?

Um es klar zu sagen: Es ist die Karriere eines Gescheiterten, Erfolglosen und am Ende Getöteten, die uns da als Lebensweg vor Augen gehalten wird.

Und doch sagt er: Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.

Die Spiritualität des christlichen Glaubens ist „Schwarzbrot-Spiritualität“, hat einmal jemand gesagt. Am Schwarzbrot kann man ziemlich lange kauen. Aber dann zeigt sich auch sein Geschmack – und es ist nahrhaft. Schwarzbrot schafft Verbindung zur Natur, zur Erde – wie auch der Saft der Trauben.

Brot und Wein/Saft erinnern uns daran, dass wir abhängig sind – und dass das Leben ein Geschenk ist. Und wenn wir dazu die Geschichte Jesu hören – dann spüren wir, wie kostbar dieses Geschenk ist. Es ist Leben, das auch vom Tod nicht zunichte gemacht werden kann.

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